Alleingang über die Alpen



"Mal was anders machen" war mein Beweggrund, als ich mich entschloss, zu Fuß über die Alpen zu gehen. Wie aus meinem Alleingang vom Naturparadies Murnauer Moos zum Teil weglos über die höchsten Gipfel der Ostalpen bis nach Lecco am Comer See ein aufregendes und bewegendes Abenteuer vor der Haustür wurde, erzähle ich in meiner Live-Reportage, die beim internationalen Abenteuer- und Reisefestival „El Mundo“ 2005 mit dem 1. Platz ausgezeichnet wurde.

 

Bei meiner vierwöchigen Tour umging ich bewusst die größeren Orte und Schutzhütten, stieg nur selten ins Tal ab und übernachtete zumeist mit Schlafsack und Isomatte im Freien oder in Winterräumen. Dass eine gewisse Leidensfähigkeit Grundvoraussetzung für eine solche Tour ist, zeigt mein Rucksackgewicht beim Start im Murnauer Moos: 42 Kilogramm – ohne Wasser. Weil es mir bei meiner Unternehmung besonders wichtig war, möglichst lange oben zu bleiben, verlängerte sich die Wegstrecke von Eschenlohe bis nach Lecco beträchtlich. 475 Kilometer und 35.000 Höhenmeter kamen am Ende zusammen. Mithilfe von Karte, Kompass und Höhenmesser ging es oft auch ohne Weg. Am schnellsten und am meisten Spass machte mir das so genannte „Abfahren“ im Geröll.  Der reine Spaß hörte aber zumindest dort auf, wo die Gletscherregionen begannen. Spätestens hier musste ich die Sandale gegen Bergschuh und Steigeisen eintauschen. Doch das wahre Problem für mich als Alleingänger waren die Spalten. Konnte ich mich am Hintereisferner noch bei einer belgischen Seilschaft einbinden, so gab es diese Möglichkeit in der Bernina nicht. Nur mit Spürsinn und Glück fand ich den besten Weg von der Bellavista-Terasse durchs Spaltengewirr zur Marco-Rosa-Hütte. Aus der Kälte der Gletscher zurück ins duftende Grün des Tals zu kommen, war dann für mich kein emotionaler Luxus. Mit meinem letzten Abstieg zur Po-Ebene lag eine Lebenserfahrung hinter mir, die mich auf meinem Weg von Eschenlohe über das Wettersteingebirge, das Inntal, die Stubaier Alpen, das Passeiertal, die Similaun-Gruppe, den Vinschgau, das Stilfser Joch, die Bernina und den Monte Legnone bis zum Comer See einen beträchtlichen Teil der Ostalpen kennenlernen liess. Die Alpentour dürfen die Zuseher zum Abschluss noch einmal per Motorsegler aus der Vogelperspektive bewundern – spätestens hier wird klar, dass ich sicherlich nicht die leichteste Variante einer Alpenüberquerung gewählt habe.